Predigt zu Lukas 10,38-42 von Henning Porrmann
Liebe Gemeinde!
Heute muss ich sie warnen, bevor es mit der Predigt losgeht. Wenn Sie zu den Menschen gehören, die gerne und gut für andere sorgen, wenn Besuch kommt toll kochen und alles besonders schön machen und dann die ganze Zeit herum wuseln, dann könnte Sie die heutige Geschichte aus der Bibel im ersten Moment irritieren.
Genauso geht es Ihnen vielleicht, wenn Sie auch in anderen Bereichen viel für andere tun oder wenn Sie Dinge besonders gut machen wollen, damit ihnen keiner was nachsagen kann, oder wenn Sie jemand sind, der gerne in seinem Bemühen gesehen wird (und ehrlich gesagt: Wer würde nicht?)
Auch wer einen ausgeprägten Sinn für Gerechtigkeit hat, könnte die Geschichte anstößig finden, die heute über Jesus erzählt wird.
Im Grunde geht die Geschichte tatsächlich ein wenig quer zu dem, was viele in unserer Zeit oft als erstrebenswert ansehen. Dinge besonders gut machen wollen, fleißig sein, gut dastehen, denn was sollen denn die Leute sonst sagen, viel arbeiten und am besten noch alle Ansprüche erfüllen, die von allen möglichen Seiten kommen. Darum geht es in dieser Geschichte und was Jesus dazu sagt.
Sie handelt von zwei Schwestern: Maria und Martha aus Betanien. Ihr Bruder hieß Lazarus, aber der kommt hier nicht vor. Der Name Martha bedeutet sinniger Weise übrigens so etwa Herrscherin oder Hausherrin, wohingegen der Name Mariam verbunden ist mit Bedeutungen wie „die Widerspenstige“ oder die „Schöne“.
Martha ist eine Macherin, die ihren Haushalt im Griff hat, alles organisiert, Verantwortung übernimmt und in der Küche steht und im ganzen Haus herumwuselt. Ihre Hände stehen nie still, so kommt es einem zumindest in der Geschichte vor. Maria hingegen lässt es eher langsam angehen und hat die Ruhe weg.
Der Konflikt ist praktisch vorprogrammiert. Immer wenn einer oder eine mehr macht und der oder die andere eben weniger, gibt’s Streit. Bei Geschwistern, bei Ehepartnern, bei KollegInnen an der Arbeit oder im Verein.
Doch hier kommt erstmal die Geschichte, wie sie bei Lukas direkt nach der Geschichte vom barmherzigen Samariter im 10. Kapitel in den Versen 38 bis 42 erzählt wird.
Jesus bei Maria und Marta
Als Jesus mit seinen Jüngern weiterzog, kam er in ein Dorf. Dort nahm ihn eine Frau als Gast bei sich auf. Ihr Name war Marta. Sie hatte eine Schwester, die Maria hieß. Die setzte sich zu Füßen des Herrn nieder und hörte ihm zu.
Aber Marta war ganz davon in Anspruch genommen, sie zu bewirten. Schließlich stellte sie sich vor Jesus hin und sagte: »Herr, macht es dir nichts aus, dass meine Schwester mich alles allein machen lässt? Sag ihr doch, dass sie mir helfen soll!«
Aber der Herr antwortete: »Marta, Marta! Du bist so besorgt und machst dir Gedanken um so vieles. Aber nur eines ist notwendig: Maria hat das Bessere gewählt, das wird ihr niemand mehr wegnehmen.«
Ich muss sagen, im ersten Moment ärgert mich diese Geschichte tatsächlich. Martha macht und tut und sorgt sich und Maria sitzt einfach nur rum und hört zu. Wenn sie mitgeholfen hätte – denke ich – dann hätten doch alle drei zusammen mehr Zeit gehabt. Und als Martha das auch noch anmerkt und die Mithilfe einfordert, kommt mir die Antwort von Jesus hart vor. Ich kann Martha total verstehen, dass sie in ihrem Bemühen gerne gesehen werden will, anerkannt und wertgeschätzt und dass sie das ungerecht findet, wenn Maria nicht hilft.
Geht es nicht vielen so? Dass Sie sich anstrengen, machen und tun, kochen, Wäsche waschen, Handwerken, an der Arbeit, im Verein und im Freundeskreis immer hilfreich bereit stehen und wenn dann die erhoffte Anerkennung ausbleibt, dann tut das ganz schön weh?
Überlegen Sie doch mal, wo sie sich anstrengen oder angestrengt haben, um Anerkennung und Wertschätzung zu bekommen und sich am Ende enttäuscht fühlen, weil die Wertschätzung entweder ganz ausbleibt, weil man ja von Ihnen gewöhnt ist, dass das alles läuft, oder die Wertschätzung zu gering oder nicht in Ihrem Sinne ist oder sie in ihrem Wuseln, die Dankbarkeit der anderen gar nicht mehr so recht sehen können.
Ganz schön frustrierend kann das sein. Und ganz ehrlich: Im ersten Moment, denkt man, dass Jesus das bei Martha wirklich gar nicht sieht und anerkennt… naja obwohl…
Vielleicht kann man die Geschichte auch anders lesen, als eine Ermutigung zum AUF-HÖREN, zu heilsamen Pausen und Unterbrechungen, zu Gelegenheiten zum Luftholen und zum Hinspüren.
Martha ist ganz davon in Anspruch genommen die beiden zu bewirten. Das griechische Wort „perispao“ kann man auch übersetzen mit „nach allen Seiten gezerrt werden“, sich Unruhe machen, sich Sorgen machen… So ist das bei Martha, bestimmt nicht zum ersten Mal. Und Maria dagegen sitzt Jesus zu Füßen und hört ihm zu.
Das ist der erste Hinweis. Dieses ganz in Anspruch genommen sein lenkt den Blick weg vom Wesentlichen. Das ganze Wuseln, Sorgen und Schaffen soll ja Gastfreundschaft und Liebe ausdrücken – unterstelle ich Martha jetzt einfach mal – aber dabei verpasst sie den Augenblick, wirklich mit Jesus und dem was er zu sagen hat in Kontakt und in Berührung zu kommen. Sich dafür Zeit zu nehmen und Ihre ganze Aufmerksamkeit auf diesen Moment der Gemeinschaft zu richten.
Das kenne ich auch bei Geburtstagsbesuchen. Oft ist das „Geburtstagskind“ ganz und gar damit beschäftigt, die Gäste zu versorgen, aber kommt gar nicht dazu, mit ihnen zu reden. Jesus sagt: Hey, jetzt bin ich da. Lass uns die Zeit für uns nutzen.
Als Jesus dann sagt: Marta, Marta! Du bist so besorgt und machst dir Gedanken um so vieles. kann man - finde ich jedenfalls - doch eine gewisse Anerkennung und Mitgefühl für Martha heraushören, allerdings ohne, dass er damit sagt: Genauso muss man das machen. Er erkennt Ihr Bemühen an, die Mental Load, wie man so schön auf Neudeutsch sagt, die vielen Gedanken und dass sich Martha für alles verantwortlich fühlt. Und gibt ihr dann mit dem Hinweis, dass Maria das bessere Teil gewählt hat zu verstehen, dass auch heilvolle Unterbrechungen erlaubt sind, ja notwendig sind. Fast denkt man, genau damit will er das emsige Wuseln um Anerkennung bei Martha bremsen, damit sie sich, ihre Mitte, das Wesentliche nicht darin verliert. Heilsame Pausen können im wahrsten Sinne des Wortes, die Not wenden, mir Zeit zum Auf-hören, Aufhorchen geben. Aufhören mit dem Wuseln damit ich auf das Wesentliche hören kann, damit ich Auf – Hören, aufhorchen kann. Aufhören mit dem Alles supergut oder perfekt machen zu wollen, damit ich auf die Botschaft Jesu hören kann: Vor aller Anstrengung und aller Leistung steht meine Liebe zu dir. Aufhören mit dem Suchen nach meinem Wert im Außen, aufhören damit, es möglichst allen Recht zu machen und dann auf die Bestätigung zu warten, die mir dann meinen Wert von Außen geben würde, den ich in meinem tiefsten Inneren nicht finde. Dann würde ich auf die Botschaft Jesu hören, dass mein Wert und meine Würde schon da sind. Ihn muss ich nicht erst beeindrucken. Ich muss nichts beweisen in der Gegenwart G+ttes. Ich muss mich nicht anstrengen. Einfach dasitzen, zuhören bzw. Aufhorchen auf das, was da kommt von Jesus, von G+tt, aus meinem Inneren.
Darum ist mir persönlich ja die Meditation als Gebet so wichtig. Da muss ich auch gar nichts, außer da sein und Auf-hören, auf die Stille hören, auf die Stimme des Lebens, die Stimme G+ttes in mir. Aufhören irgendwas zu tun, zu leisten, zu erfüllen oder zu wollen, und auf das hören, was da in der Stille auf mich zukommt. Es ist ein ganz und gar heilsames Stille halten, in den Momenten in denen ich das annehmen kann, dass ich für die Zeit der Meditation (manchmal sind es nur 5 Minuten) Pause machen darf von allem, was sonst noch an mir zerrt. Danach kann ja alles Wuseln wieder weitergehen, alles was so zu tun und zu tragen ist, aber einfach mal in der Gegenwart des Lichtes G+ttes ausruhen und auftanken, das geht.
Also ganz konkret: Eine Kerze anzünden, einen Timer auf 5 Minuten stellen und sich dann still vor die Kerze setzen und schweigen und einfach dem Atem folgen oder die eigenen Gedanken beobachten, ohne sie gleich zu bewerten oder in der Stille denken: G+tt, jetzt bin ich hier und höre auf dich!
Es gibt diesen mystischen Satz der koptischen Christen aus Ägypten: Lass deinen Mund stille sein, dann spricht dein Herz. Lass dein Herz stille sein, dann spricht G+tt.
Ich glaube, wir brauchen solche heilsamen Aufhörpausen, damit die leisen oder zum Schweigen gebrachten Stimmen in uns wieder zu hören sind. Auch sie wollen alle gesehen und gehört werden. Eine heilvolle Pause vom alltäglichen Wuseln kann übrigens auch ein Spaziergang oder eine bewusst getrunkene Tasse Tee oder ein kleiner, langsamer Gang durch den Garten sein.
Jesus sagt also nicht zu Maria, dass sie gefälligst so fleißig wie Martha sein soll und sich am besten auch im Wuseln verliert, sondern er gibt Martha die Erlaubnis aus ihrem Hamsterrad aus eigenen Ansprüchen, aus äußerlichen Notwendigkeiten, aus der von ihr wahrgenommenen Verantwortung einfach mal auszusteigen und im wahrsten Sinne des Wortes Aufzuhören, um wieder mit ihrer Kraftquelle in Verbindung zu kommen. Das nehme ich heute mit, dass ich mir Zeit nehme zum Aufhören, zum Aufhorchen, zum Hören auf das, was mir neue Kraft gibt. Bei unseren Pausen und bei unserem Wuseln sei der Friede G+ttes, der höher ist als alle Vernunft bei uns. Er bewahre unseren innersten Wesenskern, unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.