Hoffnung - Eine Predigt zum Anfang von Henning Porrmann
Ganz am Anfang dieses Jahres, eine Predigt über Hoffnung. Hoffnung ist eine gigantische Energiequelle. 40 Jahre lang hat sie das Volk Israel angetrieben, in der Wüstenzeit immer wieder aufzustehen und weiterzugehen. Hoffnung hat Dietrich Bonhoeffer im Gefängnis getragen, obwohl er wusste, dass er keine Chance auf Überleben hatte. Und doch lebt seine Hoffnung in unserer, in meiner Hoffnung weiter: Lieder, Gedichte, Gedanken von ihm, vor allem das Gedicht von den guten Mächten, machen bis heute Menschen Mut. Hoffnung eröffnet Räume des Handelns, auch in totaler Ohnmacht. Nachzulesen zum Beispiel beim Psychiater Viktor Frankl. Im KZ der Nazis war er als Jude fast zu Tode gekommen. Es war neben Glück, auch die Hoffnung, sein Buch, dass er geschrieben hat, nach der Freilassung zu veröffentlichen. Dieser Wunsch, seine Botschaft in die Welt zu bringen, hat ihn überleben lassen, weil er sich und sein Leben nicht aufgegeben hatte. „Wer ein Warum im Leben hat, erträgt fast jedes Wie.“ Auf diesem Zitat von Nietzsche baut er dann seine Sinn- seine Logotherapieschule auf.
Hoffnung eröffnet einen Möglichkeitsraum für die Zukunft. Hoffnung ist Erwartungsfähigkeit. Hoffnung und Hoffen ist etwas Aktives und führt aus der Passivität. Hoffnung ist da wo Menschen sich einbetten in eine größere Geschichte, die die eigene weit übersteigt. Hoffnung ist die Fähigkeit sich eine Zukunft zu denken, in die man selbst eingebunden ist.
Das sind Gedanken aus einem Interview mit dem Kulturhistoriker Philipp Blom, das man in der Mediathek des Deutschlandfunks nachhören kann. (Link zum Interview.) Er hat gerade ein Buch zur Hoffnung geschrieben. Es heißt: „Hoffnung – über ein kluges Verhältnis zur Welt.“ Er versucht einem seiner Zuhörenden - wohl einem jungen Menschen - in sieben Briefen, die Frage zu beantworten: worauf kann ich noch hoffen in unserer Zeit? Und diese Zeit analysiert er ernüchternd zum Beispiel damit, dass die Menschen, zumindest im reichen, satten Westen nicht mehr an der Gestaltung einer Zukunft interessiert sind, sondern nur noch am Bewahren des Erreichten. Das erkläre die Unfähigkeit zum Wandel und zur Transformation und das bringt Menschen eher in die Vergangenheit und in die Passivität. Hoffnung aber ist immer auf die Zukunft ausgerichtet. Sie zielt darauf, dass trotzdem etwas möglich ist, trotz aller Verletzlichkeit des Lebens, trotz aller Umstände. „Trotzdem ja zum Leben sagen“, heißt übrigens das Buch, dass Viktor Frankl über seine Erfahrungen im KZ nach der Befreiung in nur neun Tagen aufschrieb und das bis heute auf den Bestsellerlisten ist.
Auch die Bibel ist so ein Hoffnungsbuch, mit lauter Lebensgeschichten, die eingebettet sind in einen großen Zusammenhang. Gott sagt in jeder Geschichte: Trotz allem halte ich am Leben fest und bin bei Dir. Josuas Geschichte und heute nur der Ausschnitt, den wir gehört haben, ist eine von diesen Hoffnungsgeschichten.
Wie wir gerade über die Schwelle des neuen Jahres getreten sind, steht auch Josua am Übergang. Bis hierher war Mose der Führer des Volkes. Er hat die Verbindung zur spirituellen Quelle, zu Gott, für alle gehalten. Und in den 40 entbehrungsreichen Wüstenjahren hatte das Volk sich mehr und mehr diesem Gott anvertraut. Dem Gott des Weges! In Feuersäule und Wolke war er da aber auch auf dem Berg, im Dornbusch und im Zelt des Heiligtums. Josua bekommt den Auftrag, das gelobte Land zu erobern und das Volk über die Schwelle zu führen. Was für eine riesige Verantwortung. Natürlich hatte er sich auf diesen Tag vorbereitet. Aber jetzt, wo es so weit war, braucht er einen starken Zuspruch.
Seine Hoffnung und sein Mut werden von Gott gestärkt, in dem Gott ihm seinen Beistand verspricht. Er bettet Josua – und wenn wir heute diese Worte hören auch uns – in den großen Beistandspakt mit der Kraft des Lebens in allem Leben ein. Sei mutig und stark und fürchte dich nicht. Ich bin bei dir. Sagt Gott.
Wie kann Josua mutig und stark und hoffnungsvoll sein und diesen Auftrag angehen? Wie können wir zuversichtlich in dieses Jahr gehen, das vermutlich auch viele Herausforderungen bereit halten wird?
Zuerst einmal indem er sich diese Zusage Gottes auch gesagt sein lässt. Du bist nicht allein. Ich stärke dich. Ich bin bei dir. Dazu ist tatsächlich auch seine Erfahrung nötig, dass er in der Vergangenheit diese Nähe Gottes gespürt hat oder Erlebnisse in den Zusammenhang des Glaubens gestellt hat. Ich habe etwas geschafft, was ich mir nicht zugetraut habe. Ich konnte nach einem Rückschlag wieder Fuß fassen. Die Verbundenheit mit Gott hat mir geholfen, meine eigenen inneren Kräfte zu entfalten und immer wieder neu zu entdecken. Die Erinnerung an der Schwelle zum Neuen hilft ihm.
Und dann sagt Gott ihm noch: Bleibe bei dem Gesetz des Lebens, das Mose euch von mir gegeben hat. Bei Mose waren das die Zehn Gebote. Im Laufe der Zeit sind noch ganz viele Gesetze dazugekommen, die aber letztlich nur Auslegungen der Zehn Gebote waren. Jesus fasst sie viel später alle zusammen in dem einen Gebot, dass wir Gott und die Menschen lieben sollen und uns selbst. Oder noch knapper im 1. Johannesbrief formuliert: Gott ist Liebe, und wer in der Liebe bleibt, der bleibt in Gott und Gott in ihm. (1. Joh 4,16)
Josua bekommt nicht nur den Auftrag, das Land zu erobern und zu verteilen, sondern auch, sich weiter an das Gesetz Gottes zu halten. Darin würde seine Kraft stecken, sein Mut und seine Hoffnung, damit er seine Fähigkeiten und Kräfte entfalten kann.
Konnte er vorher schon wissen, dass alles gut ausgehen würde? Können wir schon wissen, was das neue Jahr bringen wird, mit all den Unwägbarkeiten und Unsicherheiten: Klimaerhitzung, Trump und Putin, 20% Prozent für eine Partei, die in großen Teilen als rechtsextrem bezeichnet werden muss? Und dazu all der Zweifel an den eigenen Fähigkeiten und die Ängste?
Nein, weder Josua konnte das wissen, noch können wir die Unsicherheiten der Zukunft ausblenden. Es gibt keine Garantie, dass das Leben gelingt und die Welt ein sicherer Ort ist oder wird. Eher das Gegenteil ist wahrscheinlich.
Im Buch von Philipp Blom wird Vaclav Havel als Beispiel erwähnt. Er hat sich gegen die russische Besatzung in Tschechien für Meinungsfreiheit und Demokratie eingesetzt und saß dafür immer wieder im Gefängnis und hatte viel Zeit nachzudenken. Später wurde er tschechischer Staatspräsident. Er hat sinngemäß gesagt: Ich tue nicht etwas, weil ich genau weiß, dass es klappt, sondern ich setze mich für etwas ein, weil ich weiß, dass es richtig ist, egal ob es funktioniert. Das ist Leben mit einem Sinn, mit einem Wert, mit einem Wozu. Das ist hoffnungsvolles Leben, das noch nicht weiß, was von all dem, was möglich sein könnte klappt und was nicht klappt. Ein Leben, das durch die eigenen Werte in die Zukunft weist. Ich erinnere nochmal, bei Josua war es das Gesetz Gottes, das ihm seine Werte, Orientierung und eine Einbettung in das Größere Ganze gegeben hat.
Wenn es nur nach Wahrscheinlichkeiten des Gelingens ging, also wenn ich nur Dinge machen würde, die vorher klar sind, würde ich ein Leben mit Sturzhelm und hinter dicken Mauern leben müssen. Im Hoffnungsbuch bringt der Autor das Beispiel vom Verliebtsein und einer Langzeitbeziehung. Wer nach dem ersten Verliebtsein und der „alles ist schön und gut und die Zukunft sieht rosig und hell aus“ Zeit googelt, wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, dass eine Langzeitbeziehung klappt, dass Liebe also ein Leben lang hält, findet heraus, dass diese gerade einmal bei 6% liegt. Trotzdem machen sich Menschen immer wieder auf den Weg in ein gemeinsames Leben. Ja geht das Leben überhaupt wegen diesen 6% weiter. Menschen starten, fangen an, gehen gemeinsam los, gegen alle Wahrscheinlichkeit. Bei einem Fahrstuhl, der mit einer Sechsprozentigen Wahrscheinlichkeit auch oben ankommt, würde man eher die Treppe nehmen. Da würde sich keiner drauf einlassen. Aber beim Leben ist es immer wieder so: Für diese 6% leben wir.
So können Menschen, wie Josua und wir, etwas wagen, trotzdem ja zum Leben sagen, losgehen auch wenn ich vorher noch nicht genau weiß, ob es auch klappt. Diese Art der Hoffnung, eröffnet Räume des Lebens und der Gestaltung, von denen ich noch nicht weiß, wie sie aussehen. Mit dieser Hoffnung kann ich lernen Unsicherheiten auszuhalten, wie Josua an der Schwelle ins neue Land. Dinge, Leben, neue Wege werden möglich, wenn und weil ich mich auf die Verletzbarkeit des Handelns und des Lebens im Augenblick einlasse und weil in diesem Möglichkeitsraum auch Fehlversuche und neu anfangen geht.
Warum also noch hoffen in dieser Zeit?
Ganz klar, weil Hoffnung dem Leben dient und die Lebendigkeit fördert und uns dabei hilft, immer wieder aufzustehen und weiterzugehen.
Das ist mehr oder weniger der säkulare Grund der Hoffnung für Philipp Blom in seinem sehr lesenswerten Buch. Und das ist an sich schon stark. Bei uns heute und hier kommt noch hinzu, dass wir uns einbetten können in einen großen Vertrauensstrom von Menschen, die aus der Zusage Gottes Kraft schöpfen und geschöpft haben, dass GOTT das Leben trägt, hält und erhält, über alle Zeiten hinweg und durch alle Unsicherheiten, die auszuhalten sind, hindurch.
Wie Josua gilt auch uns heute am Ersten Tag des neuen Jahres die Zusage: Sei getrost und unverzagt. Lass dir nicht grauen und entsetze dich nicht; denn der Herr, dein Gott, ist mit dir in allem, was du tun wirst.
Dabei begleitet uns der Frieden Gottes, der höher ist als alle Vernunft. Er bewahre unseren innersten Wesenskern, unsere Herzen und Sinne in der Gegenwart Gottes durch Christus Jesus. Amen.